Eigenschaften
Chemie: von aromatischen Ringen und Verbindungen
Um sich dem Thema anzunähern, ist ein kurzer Ausflug in die Chemie notwendig. Dort gibt es einen Stoff, der Phenol genannt wird. Dieser besteht zum einen aus einer Verbindung von sechs Kohlenstoffatomen und fünf Wasserstoffatomen (-C6H5). Er trägt den etwas merkwürdigen Namen “aromatischer Ring”. Daran angehängt sind ein Sauerstoff- sowie ein weiteres Wasserstoffatom (-OH), was als Hydroxygruppe bezeichnet wird. Zusammen ergibt sich also die Summenformel C6H6O.
Noch ist dieses Phenol übrigens farblos. Kommen nun mehrere Phenole zusammen, so bilden sich Polyphenole, die zu den aromatischen Verbindungen zählen. Flavonoide bilden eine sehr große Gruppe unter ihnen. Grundsätzlich zeichnen sie sich durch zwei der bereits genannten aromatischen Ringe aus, die von einem weiteren Ring zusammengehalten werden. Dort gehen auch die Sauerstoff- und Wasserstoffatome der Hydroxygruppe ein.1
Bisher etwa 8.000 Flavonoide bekannt
Hier können freilich Variationen auftreten. Durch den Sauerstoff sind unterschiedliche Grade der Oxidation möglich, die Ringe können in der Zusammensetzung der einzelnen Atome divergieren und es können auch weitere Stoffe wie Zuckerbausteine integriert sein. Bis heute wurden rund 8.000 dieser Flavonoid-Variationen entdeckt.2
Abweisende und anlockende Aufgaben in Pflanzen
Gemein ist allen, dass sie im Gegensatz zu den Phenolen nicht mehr farblos sind, sondern im Gegenteil die Farbstoffe der Pflanzen insbesondere der Blüten bilden. Flavonoide gehören also zu den sekundären Pflanzenstoffen. Sie sind Bestandteil des pflanzlichen Stoffwechsels und haben gleichzeitig abweisende wie anlockende Funktionen.
Eine abweisende Schutzwirkung tritt gegen ultraviolettes (UV) und anderes kurzwelliges Licht ein. Unwiderstehlich anlockend wirken die flavonoiden Farbstoffe jedoch auf Tiere insbesondere Insekten, die die Bestäubung der Pflanzen also den Erhalt ihrer Art gewährleisten.
Flavonoide sind auch pflanzliche Bitterstoffe
Es wurde bereits deutlich, dass der Ausdruck “aromatische Verbindung” kein Fachbegriff der Gourmetküche ist. Auf Flavonoide bezogen wird damit vielmehr ein bitterer Geschmack verbunden. Was wir aber beispielsweise im Tee als sehr angenehm empfinden, wirkt auf andere Fressfeinde der Pflanzen abscheulich und – hier ist der Mensch durchaus einbezogen – als Signal für Gift. Diese Erfahrung werden viele bereits im Kindesalter gemacht haben. Wenn beim Spiel einmal ein Blatt in den Mund gelangt ist, wird dieses unwillkürlich ausgespuckt, falls es bitter schmeckt.
Ein Experiment, das allerdings keineswegs nachgeahmt werden sollte, da manche Stoffe tatsächlich toxisch wirken. Für Menschen ist die giftige Wirkung zwar häufig nicht vorhanden. Bei Insekten, Pilzen, Bakterien und anderen Kleinorganismen kann sie aber eintreten.
Viele bestätigte Wirkungen von Flavonoiden
Damit sind wir schon bei einer auch für den Menschen wünschenswerten Gruppe von Eigenschaften der Flavonoide. Sie wirken antimikrobiell, antifungal, antibakteriell und antiviral – bekämpfen also Mikroorganismen. Daneben hemmen sie entzündliche Prozesse und gehören zu den effektivsten Antioxidantien.3
Je farbintensiver desto mehr Flavonoide
Flavonoide sind in der Natur allgegenwärtig. Grundsätzlich kann der Gehalt durch die Farbintensität einer Frucht, eines Krautes, eines Gemüses, Gewürzes oder anderer Pflanzenbestandteile abgeschätzt werden. Davon weichen nur Zitrusfrüchte ein wenig ab. Hier ist die höchste Konzentration in dem weißen Pelz, der sich zwischen Schale und Fruchtfleisch befindet, gegeben.
Dass dem so ist, kann leicht selbst überprüft werden. Beim Vorbereiten dieser Früchte wird normalerweise nämlich genau diese Schicht möglichst vollständig entfernt. Warum? Weil sie sehr bitter schmeckt.
Flavonoide sind bioverfügbar
Entgegen früherer Annahmen werden Favonoide in der Regel vom Körper recht gut aufgenommen. Dies wird auch von probiotischen Bakterien unterstützt.4 Die herausragende Eigenschaft im Organismus, die auf die meisten Flavonoide zutrifft, ist ihre antioxidative Kraft. Nun streitet die Wissenschaft aktuell darüber, ob die Höhe der antioxidativen Kapazität, die im Körper gemessen werden kann, überhaupt von nennenswerter Bedeutung ist.5
Maßeinheit für antioxidative Kapazität in ORAC gilt als überholt
Die Maßeinheit, in der die antioxidative Kapazität gemessen wird, heißt ORAC. Das steht für Oxygen Radical Absorbance Capacity und heißt auf Deutsch: Fähigkeit zum Abfangen von Sauerstoffradikalen. Auch das für die Ermittlung und Veröffentlichung der ORAC-Werte mitverantwortliche United States Department of Agriculture, also das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium, hat entsprechende Tabellen zurückgezogen.
Zur Begründung wird angegeben, dass es keine Beweise dafür gibt, dass die positive Wirkung polyphenolreicher Lebensmittel auf ihre antioxidative Kapazität zurückzuführen ist. In-vito- oder Reagenzglas-Resultate konnten in vivo also bei menschlichen Probanden nicht bestätigt werden.
Die US-Behörde bestreitet damit keineswegs die Wirkung von Antioxidantien. Im Gegenteil stellt sie eine breite Palette von positiven Effekten fest, die jedoch nicht an ORAC-Werten festgemacht werden können, sondern vielfältigere Hintergründe haben.6 Es gehört hier zu den ganz normalen Vorgängen in der Wissenschaft, dass eine Hypothese solange vertreten wird, bis sie als nicht mehr haltbar gilt. Die Berufung auf ORAC-Werte war also gerechtfertigt.
In Zukunft werden wir dies jedoch kritischer sehen und akzeptieren müssen, dass sich die antioxidative Aktivität von Flavonoiden auf weit kompliziertere Art entfaltet als bisher angenommen. Es wird in jedem Falle spannend bleiben.
Flavonoide können wie Antibiotika und selbst gegen Viren wirken
Ein klareres Bild zeigt sich der Forschung allerdings in Bezug auf antibakterielle und antivirale Wirkungen von Flavonoiden. Manche dieser Polyphenole sind tatsächlich in der Lage, die Aktivität von Bakterien ebenso zu hemmen wie Antibiotika.
Sogar einige Viren, gegenüber denen Medikamente machtlos sind, halten ihnen nicht stand. Dies konnte in Bezug auf Grippevieren und grünem Tee bestätigt werden.7
Gegen Entzündungen und Allergien
Auch entzündungshemmende sowie antiallergische Eigenschaften gelten als bestätigt. Dies hängt damit zusammen, dass etliche Flavonoide Enzyme hemmen sowie dafür sorgen können, dass verschieden Zellen, die Immunreaktionen regulieren, aktiviert werden.
Bestimmte Flavonoide sind blutdrucksenkend – aber nicht alle
Eine Studie der Universität von Dalhousie in Kanada fand zudem heraus, dass Flavonoide aus Apfelschalenextrakt eine ähnlich blutdrucksenkende Wirkung haben wie ACE-Hemmer. In dieser Untersuchung zeigte sich auch, dass man von einer generellen Wirkung der Flavonoide nicht sprechen kann.
Bei isolierten Tests erwies sich nämlich ein auf dem Flavonoid Quercetin beruhender Stoff als äußerst wirksam, während – allerdings als einziges – das Isoflavon-Flavonoid Genistein keine blutdrucksenkenden Effekte zeigte.8
Umfangreiche Forschung zur krebsvorbeugenden Wirkung
Ebenfalls unstrittig ist die krebsvorbeugende Wirkung von Flavonoiden. Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft (DGK) konnte in über 250 Studien nachgewiesen werden, dass der reichhaltige Verzehr von Obst und Gemüse das Krebsrisiko nachhaltig senkt.
Gibt es Risiken beim Verzehr von Flavonoiden?
Flavonoide sind in den allermeisten pflanzlichen und bedingt durch die Nahrungskette auch in manchen tierischen Lebensmitteln vorhanden. Es kann sogar gesagt werden, dass, je mehr Flavonoide ein Lebensmittel enthält, umso gesünder ist es.
Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen sind daher nicht bekannt und auch wohl sehr unwahrscheinlich. Allerdings werden auch Flavonoide nicht von dem Lehrsatz des Paracelsus abweichen: “Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.” Ob aber die Einnahme einer risikoreichen Menge an Flavonoiden überhaupt realistisch möglich ist, wurde bisher noch nicht ermittelt.
Quellen und Studien: